Euthanasie und Sterbebegleitung

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Tod erleichtern,
heißt nicht Tod geben, wenngleich Tod geben,
oft leider so viel,
als ihn erleichtern,
heißen möchte.
(Karl Ludwig Kloohs, 1935)

Gedanken und Auszüge Seminararbeit 2012 Psycho-Sozial-Spirituelle-Palliative Care

Als Krankenschwester wurde mir nicht selten von Schwerstkranken oder deren Angehörigen die Frage gestellt: „…können Sie mir bitte eine Tablette oder eine Spritze geben, damit es mit meinem Leben schneller vorbei ist?“, oder: „Es wäre doch Nächstenliebe, lassen Sie mich bitte nicht so leiden. Helfen Sie mir – ich will nicht mehr leben!“.
Wer mit Pflege und Medizin zu tun hat, ist damit durchaus häufiger konfrontiert und es wird kontrovers diskutiert. Aus diesem Grund fiel die Wahl für das Thema dieser Seminararbeit auf die Geschichte der Euthanasie und Sterbebegleitung.
In den folgenden Punkten können im Rahmen einer knappen Literaturarbeit erst einmal nur grundlegende, geschichtliche Fakten im Überblick dargestellt werden.

Fakten und Rahmenbedingungen: In Deutschland gibt es jährlich 10,92 Todesfälle / 1.000 Einwohner (06/2011) bei einer Einwohnerzahl von 81.471.834 (06/2011)1

Das Thema Sterben wird in der Gesellschaft sehr oft beiseitegeschoben. Man spricht nicht gern über den Tod auch wenn er zweifelsohne zum Leben gehört. Die meisten Menschen haben Angst vor einem qualvollen, schmerzhaften Leiden und Sterben. Das führt zu einer Suche nach Möglichkeiten, solche beängstigenden Erfahrungen zu umgehen oder zu vermeiden. Der Tod selbst wird dann immer neu als ein solcher Ausweg z.T. sehr unreflektiert als Lösung angeboten oder diskutiert.

Während meiner Tätigkeit in unterschiedlichen Bereichen der Krankenpflege hatte ich sehr viele Gespräche mit schwerkranken Menschen oder deren Angehörigen, in denen mir verschiedenste Reaktionen und Empfindungen gegenüber dem Thema begegneten.
Häufig waren die Strukturen und Ressourcen des Gesundheitssystems stark überlastet, so dass eine optimale Begleitung bis zuletzt nur bedingt außerhalb spezialisierter Angebote wie z.B. Palliativstation oder Hospiz möglich war.
Das ist eine unbefriedigende Situation, die eine einseitige, häufig vordergründige und emotional überlagerte oder eher frustrierte Diskussion verursacht.
Die Politik trägt hier eine hohe Verantwortung, im Bemühen um den Ausbau der palliativmedizinischen und hospizlichen Versorgung für Schwerkranke, sterbende Menschen und ihre Angehörige.
Während man allgemein über „Hilfe zum Sterben“ relativ unreflektiert und situationsabhängig spricht und hier eine „schnelle Lösung“ für eine leidvolle Lage sieht, sorgen andere Bezeichnungen für mehr Abstand und Differenzierungsmöglichkeiten. Deutlich wird das an einem Zitat von Johannes Rau, wenn er sagt: „Eugenik, Euthanasie und Selektion: Das sind Begriffe, die in Deutschland mit schlimmen Erinnerungen verbunden sind. Sie rufen deshalb – zu Recht – emotionale Abwehr hervor. Trotzdem halte ich das Argument für ganz falsch und irreführend, wir Deutsche dürften bestimmte Dinge wegen unserer Geschichte nicht tun.“ (Rau 2001)
Demgegenüber formulierte Erzbischof Dr. Robert Zollitsch am 15.08.2012 in seiner Predigt im Freiburger Münster: „Es liegt nicht in unserer Hand, über Geburt und Dauer unseres Lebens und den Augenblick unseres Todes zu verfügen“ Es sei nicht die Aufgabe der Ärzte, Menschen beim Sterben zu helfen, sondern beim Leben. „Uns ist aufgetragen, die Schmerzen Kranker zu lindern, sie ihnen zu nehmen und nicht Leidende in den Tod zu schicken. Wir sind geboren, um dem Leben zu dienen, nicht dem Tod.“2

1. Zunächst eine Begriffsklärung
Die Definitionen zur Sterbehilfe sind nicht einheitlich. Allgemein werden darunter Maßnahmen verstanden, die einem Sterbenden gegenüber getroffen werden, „um ihm den Weg zum Tod friedlich und weniger schmerzhaft zu machen.“ Der Begriff „Sterbehilfe“ wird als Ausdruck für ärztliche Tätigkeiten beim Vorgang des Sterbens verstanden, der Beistand, Pflege und ärztliche Interventionen oder Unterlassen mit einschließt. Ebenso wird er auch für die gezielte schmerzlose Tötung oder Beschleunigung des Todeseintritts verwendet, wobei die Handlung mit dem Ziel des Tötens auch durch Unterlassen von Maßnahmen zur Lebensverlängerung erfolgen kann.6

2. Formen von Sterbehilfe und Gedanken dazu
Die Formen der Sterbehilfe unterscheiden sich vor allem in zwei wesentlichen Merkmalen: einer Hilfe beim Sterben zu einer Hilfe zum Sterben. Dabei ist oft schon die Definition von „Sterben“ nicht einfach und lässt immer noch viel Spielraum für Interpretationen im Rahmen der Erfahrungswerte und klassischer medizinischer Indikatoren.
„Die Unterscheidung zwischen Sterbenden und „noch nicht Sterbenden“ wird oft erst im Nachhinein erkannt. Als Sterbender im biologischen Sinn ist ein Mensch dann zu bezeichnen, wenn es zu einem unwiderruflichen und fortschreitenden Prozess kommt, der ehrfahrungsgemäß zu einem Zusammenbrechen einer bzw. mehrerer lebenswichtiger Organfunktionen (Kreislauf-, Atem-, Stoffwechsel-, Gehirnfunktionen) und damit zum Tod führt.“7
„Freiwillige Sterbehilfe heißt, dass Sterbehilfe auf Verlangen der Person, die sterben möchte geleistet wird.
Nichtfreiwillige Sterbehilfe bedeutet, dass der Betroffene nicht fähig ist, die Entscheidung zwischen Leben und Tod zu treffen bzw. zu verstehen.
Unfreiwillige Sterbehilfe ist die Tötung einer Person, die fähig ist, Zustimmung oder Ablehnung zu äußern, die aber entweder nicht gefragt wird oder ihre Zustimmung verweigert. Dies ist ebenso Mord wie die nichtfreiwillige Sterbehilfe.“ 8

Direkte Sterbehilfe kann noch wie folgt unterteilt werden

  • aktive Sterbehilfe
  • Beihilfe zum Selbstmord
  • passive Sterbehilfe 9

todAktive Sterbehilfe
Tötung Schwerkranker (auch als „aktive Sterbehilfe“ oder „aktive Euthanasie“ bezeichnet, wobei „aktive Sterbehilfe“ auf Verlangen und ohne Verlangen zu unterscheiden sind.10
„Aktive Sterbehilfe liegt vor, wenn der Arzt etwas unternimmt, damit das Leben des Patienten verkürzt wird. Entspricht dies dem Willen des Patienten, spricht man von „Tötung auf Verlangen“. Entspricht dies nicht dem Willen des Patienten, handelt es sich um Mord.“11
Diese Form der Sterbehilfe ist in ihrer Unterscheidung zwischen „Mord“ und „Tötung auf Verlangen“ relativ differenziert, wobei auch hier die Grenzen verschwimmen, wenn man bedenkt, dass Patienten den Tod wünschen, um beispielsweise ihren Angehörigen nicht mehr zur Last zu fallen, oder mit einer solchen Aussage / Bitte um Mitleid und Mitgefühl äußern, bzw. auch durchaus manchmal nur ein Ausdruck des empfundenen Leidens gesucht wird.
„Ich möchte sterben – helfen Sie mir dabei!“ kann eine vielfache Bedeutung haben und suggestive Umstände oder Deutungen müssen ausgeschlossen werden, um überhaupt einen reellen Patientenwillen definieren zu können, bevor hier eine Abgrenzung zu klarem „Mord“ vorliegt.
Wie gravierend dieses Dilemma u.A. ist, mag sich ein wenig erschließen, wenn man z.B. einen suizidwilligen Menschen als Vergleichsfall heranzieht, der nicht unter die Rubrik „schwerkrank“ fällt und unser Gesetz hier sogar freiheitsentziehende Maßnahmen zum Selbstschutz vorsieht. Doch wer bestimmt die Art der „schweren Erkrankung“ und den Unterschied, der eine Zwangseinweisung rechtfertigt von der „schweren Erkrankung“, die in die Richtung einer straffreien „Tötung auf Verlangen“ münden könnte?

Indirekte Sterbehilfe
„Unter indirekter Sterbehilfe versteht man, dass die Beschleunigung des Todes als Nebenwirkung gezielter sinnvoller therapeutischer Maßnahme in Kauf genommen wird. Ausschlaggebend ist dabei, dass die Lebensverkürzung weder als Zweck noch als Mittel zum Zweck beabsichtigt und/oder gewollt ist.“12
An einer Klärung dieser Definition und ihrer gesetzlichen Möglichkeit setzen vor allem die Bemühungen der Medizin und Pflege an, um dem Schwerstkranken / Sterbenden in einer Weise helfen zu können, die bis zum Ende ein höchstes Maß an Lebensqualität erhalten hilft und eine Lebensbejahung ermöglicht, auch wenn sich der Sterbeprozess durch schmerzlindernde Maßnahmen oder andere Medikamente (z.B. Morphium, Opiate, Analgetika, Sedativa…) unbeabsichtigt beschleunigen könnte.

Direkte Sterbehilfe
„Über direkte Sterbehilfe wird gesprochen, wenn die Absicht des Arztes der Tod des Patienten ist. Um das Leiden eines irreversiblen Kranken (z.B. Krebs, AIDS, Alzheimer Krankheit) bzw. Sterbenden zu verkürzen, wird dessen Tod vorsätzlich herbeigeführt.“13
So sehr hier noch klare Hemmschwellen auch in der gesellschaftlichen Akzeptanz vorhanden sind, findet mittlerweile eine Selektion zwischen „lebenswertem und lebensunwertem Leben“ ohne echte Einbeziehung des Patientenwillens statt. Eine Debatte über Lebensrecht von Behinderten und deren „Ausschluss“ durch beispielweise pränatale Diagnostik mit klarem Ziel zur Selektion ist bereits in erschreckender Weise in klarer Richtung vorhanden.
Hier steht auch in gewisser Weise die Frage nach der gezielten Tötung z.B. behinderter Menschen im Raum, die an furchtbare Ereignisse in Deutschland im Dritten Reich erinnern. Irreversible Erkrankungen könnten beispielsweise auch schwere Traumapatienten, oder einfach nur Diabetes, schwerste Niereninsuffizienz u.v.m. sein, die etwa eine sehr kostenintensive, lebenserhaltende Therapie mit erheblichen Einschränkungen der „Lebensqualität“ erfordern. Wer definiert jedoch die Art der „irreversiblen Leiden“, die hier eine „Hilfe durch Tötung“ rechtfertigt? Wo beginnen hier wirtschaftliche Interessen oder fragwürdige Definitionen?

Passive Sterbehilfe
„Unter passiver Sterbehilfe im engeren Sinn versteht man die Unterlassung einer Therapie, um das begonnene Sterben als natürlichen Prozess zuzulassen, was auch als „Sterben lassen“ bezeichnet wird. Dazu gehören:

  • Therapie- oder Behandlungsabbruch
  • Verzicht auf / oder Absetzen von lebensverlängernden Maßnahmen bei Patienten, bei denen der Sterbeprozess bereits begonnen hat und deren Leben nach dem derzeitigen Stand der Medizin nicht gerettet werden kann.14

„Unter passiver Sterbehilfe im weiteren Sinn versteht man im Unterschied zur passiven Sterbehilfe im engeren Sinn den Abbruch von lebenserhaltenden Maßnahmen, z.B. der Sondenernährung, wenn der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat. Dieses Problem ist vor allem bei der Behandlung von Wachkoma-Patienten von Bedeutung, die bei künstlicher Ernährung noch Monate oder Jahre auch ohne Wiedererlangung des Bewusstseins weiterleben können, bei denen also nicht die Rede davon sein kann, dass es sich um Sterbende handelt.“15

Suizid
vom neulateinischen suicidium aus caedes „Tötung“ und sui „seiner selbst“, also sui caedes „Tötung seiner selbst“.16
„… alle sechs Minuten, so vermuten Fachleute, versucht es jemand. Bei jungen Menschen unter 25 Jahren wird vermutet, dass die Suizidversuchsrate weitaus größer ist…
Fachleute sprechen von Suizid, “Selbstmord” und „Freitod“. Jährlich sterben in Deutschland mehr Menschen durch Suizid als im Straßenverkehr.17
Wie bereits erwähnt, hat der Gesetzgeber zum Selbstschutz suizidaler Personen etwa Maßnahmen wie Freiheitsentzug, Zwangseinweisung in psychologisch / psychiatrische Einrichtungen vorgesehen, um durch eine gezieltes Hilfsangebot zur Überwindung von Krisensituationen einem Suizid entgegen zu wirken. Nimmt man nun hier an, dass der Suizidale Hilfe zu Lebensbejahung und Krisenintervention benötigt und diese Hilfe auch möglich ist, stellt sich die Frage, ob Schwerstkranke und Sterbende nicht ebenso zunächst ein Recht auf solche Unterstützung haben sollten?

[…]

4. Sterbebegleitung
Bei Sterbebegleitung handelt es sich um Fälle, in denen einem Sterbenden schmerzlindernde oder bewusstseinsdämpfende Mittel verabreicht werden, ohne dass eine Lebensverkürzung eintritt. Die Sterbebegleitung kann jedoch ebenfalls durch bloße Anwesenheit, emotionalen Beistand und zwischenmenschliche Fürsorge geleistet werden. Für einen Arzt ist die Sterbebegleitung nicht nur Menschen- sondern auch Rechtspflicht.21
Die Sterbebegleitung in diesem Sinne wird jedoch bisher hauptsächlich durch private Trägerschaften, über Spenden und freiwillige Dienste unterstützt (Hospiz) und da offensichtlich der wirtschaftliche Nutzen nicht gewährleistet ist, auch nicht ausreichend durch Politik und Gesetzgeber gefördert. Auffällig ist jedoch, dass gerade in diesem Bereich der Sterbebegleitung der Wunsch nach „assistiertem Suizid“ oder der verzweifelte Ausweg des Todes als letzte Möglichkeit kaum ins Gewicht fällt, sondern ein Leben bis zum Ende als lebenswert von den Schwerstkranken und Sterbenden, als auch von den Angehörigen erfahren und beschrieben wird.
Hier wäre ein interessanter Raum für eine intensive Studie, die nach Prioritäten der Fragen und Wünsche in der Sterbehilfe / Sterbebegleitung unter Bedingungen forscht, die echte „Lebensbedingungen“ bietet.

bluetenhintergrund-(c)-michaela-voss5. Hospiz
Im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen christlichen Abendland gab es an den Pilgerwegen- und Straßen Herbergen und Gasthäuser, sogenannte Hospize welche dann später meistens von Ordensgemeinschaften geführt wurden. In diesen Einrichtungen konnten die Pilger nach ihrer Reise Rast einlegen, Frauen brachten ihre Kinder zu Welt, Verwundete wurden behandelt und Sterbende begleitet.
Sowohl die stationären Hospize als auch die ambulante Hospizbewegung haben es sich zur Aufgabe gemacht sterbende Menschen palliativmedizinisch, und in allen Bedürfnisbereichen zu begleiten und eine höchstmögliche Lebensqualität bis zum Ende zu gewährleisten. Sie versuchen, das meist totgeschwiegene Thema des Sterbens in der Gesellschaft zu verankern und dem Leben bis zuletzt Raum und Würde zu geben.
Es gibt die ambulanten, stationären und teilstationären Hospizvereinigungen mittlerweile in vielen Ländern weltweit.

6. Palliativmedizin
Die Palliativmedizin entstand aus den Grundsätzen und den Anliegen der Hospizbewegung in der Zeit der großen Fortschritte der Medizin und der Entwicklung lebensverlängernder, intensivmedizinischer Techniken. Im Wissen, dass unheilbar Kranke mit fortgeschrittenem Leiden andere Bedürfnisse haben, die ein Akutspital nicht befriedigen konnte, entstand die Palliativmedizin, als Bewegung gegen eine Medizin, die sich auf das „Machbare“ statt auf das „Sinnvolle“ konzentrierte. In der Palliativmedizin geht es also nicht um das medizinisch-technisch Machbare, sondern um das medizinisch-ethisch Vertretbare.
Als wesentliche Prinzipien und Leitsätze der Palliativmedizin / Palliative Care werden von der WHO wie folgt definiert:

  • Sorgt für die Linderung von Schmerzen und anderen quälenden Symptomen
  • Bejaht das Leben und betrachtet das Sterben als einen normalen Prozess
  • Beabsichtigt weder den Tod zu beschleunigen noch hinauszuzögern
  • Integriert die psychologischen und spirituellen Aspekte der Betreuung
  • Bietet Unterstützungsmöglichkeiten an für Angehörige im Umgang mit der Krankheit und der Bewältigung des schmerzlichen Verlustes des Patienten
  • Wendet eine teamorientierte Annährung an, die sich den Bedürfnissen der Patienten und deren Familie widmet, einschließlich einer – falls notwendig – den Verlust aufarbeitenden Therapie
  • Versucht die Lebensqualität zu verbessern und den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen
  • Kommt schon früh im Krankheitsstadium zum Einsatz, wenn in Verbindung mit anderen Therapien eine Lebensverlängerung anstrebt, z.B. bei Chemo- oder Strahlentherapie, und verfügt über die notwendigen diagnostischen Strategien zur effizienteren Einschätzung und Behandlung von belastenden klinischen Komplikationen.22

[…]

9. Euthanasie in der Geschichte (speziell im Nationalsozialismus)
In unserer Zeit ist „Euthanasie“ beinahe ausschließlich nur noch über die Bedeutung definiert, die aus der nationalsozialistischen Interpretation und ihren furchtbaren Gräueln resultieren. Man muss auch diesem geschichtlichen Aspekt und seiner Prägung gerecht werden, wenn man nachvollziehen möchte, welche Assoziationen seit dieser Zeit mit Begriffen von „Sterbehilfe“ oder „Euthanasie“ verknüpft sind. Nur so kann wieder ein Nachdenken ermöglicht werden, das in gewisser Weise neutraler fähig wird, sich bewusst von alten Schemen zu trennen und neue Inhalte zu erschließen.
1935 kündigte Hitler auf dem Nürnberger Reichsparteitag gegenüber dem Reichsärzteführer Gerhard Wagner an, dass er die „unheilbar Geisteskranken zu beseitigen“ suche und zwar spätestens im Falle eines künftigen Krieges. Dazu kam es 1939.35 (Die Zahl der infrage kommenden Patienten war mit 70.000 angegeben). Es wurde das Ziel verfolgt, unheilbare Erbkrankheiten auszurotten und gleichzeitig die Kosten für die Anstaltspflege zu senken.

Vier Gutachter entschieden anhand zurückgegebener Meldebögen über Leben und Tod, ohne die betreffenden Menschen je gesehen zu haben. Die deutschen Ärzte wandten sich mehrheitlich gegen die weder in Deutschland noch im besetzten Frankreich gesetzlich erlaubte Vernichtung „lebensunwerten“ Lebens. Lautstarke Proteste aus der Bevölkerung führten dazu, dass 1941 das T4 Programm, das offizielle Ende der Euthanasie mit bis dahin 70272 Todesopfer beendet wurde.36
1947 auf dem Konstanzer Juristentag wurde für Deutschland gefordert, das nie wieder über „echte Euthanasie“ diskutiert werden dürfe. Trotzdem wurde eugenisches Gedankengut mit ökonomischen Argumenten kombiniert, (weniger auf Sterbehilfe, aber im Bereich der vorgeburtlichen Kontrolle).

In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gab es in Deutschland vermehrt öffentliche Stellungnahmen, die sich für eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe einsetzten.
In den 80er Jahren war es die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) die die gesellschaftliche Debatte forcierte.

1986 unternahm der Arbeitskreis (Alternativentwurf eines Gesetzes über Sterbehilfe“ einen Vorstoß für eine Gesetzesänderung. Der Entwurf sah die Legalisierung des Behandlungsabbruchs bei Langzeit-Komapatienten und schwerstgeschädigten Neugeborenen vor. Ebenfalls sollten bei einem „schwersten, vom Betroffenen nicht mehr zu ertragenden Leidenszustand“ der Suizid nicht behindert werden, sowie die Tötung auf Verlangen straffrei sein. Dieser Gesetzentwurf wurde auf dem Deutschen Juristentag 1986 diskutiert, aber mehrheitlich abgelehnt. Umso wichtiger wurden Gerichtsurteile wie z.B. das sog. Hackethal-Urteil oder der sog.

Kemptener-Fall, mit dem der Bundesgerichtshof (BGH) Mitte der 1990er Jahre die Rechtsfigur des mutmaßlichen Willens eines Patienten zum Kriterium für die Rechtsfigur des mutmaßlichen Willens eines Patienten zum Kriterium für die richterliche Feststellung der Einwilligung erhob.
Mit der bundesgesetzlichen Regelung von Patientenverfügungen im Jahr 2009 wurde unter anderem für frühzeitiges Nachdenken über individuell gewollte Behandlungsgrenzen geworben und der Bevölkerung die Möglichkeit gegeben, die Grenzen einzelner Bereiche im Falle einer gesundheitlichen Veränderung im Vorfeld zu bestimmen.37
Hier ist jedoch bis heute ein erheblicher Informationsmangel zu beklagen, so dass eine objektive, wirklich ernsthafte Entscheidungsfindung eher in Frage gestellt werden muss.
Selbst die juristisch exakt vorformulierten Muster und Fragebögen von Patientenverfügungen und Vorsorgevollmacht haben nur eine bedingte Aussagekraft, ja unterscheiden sich sogar in wesentlichen Fragen und in der Rechtsgültigkeit.
Viele Ängste und Unsicherheiten (auch und vor allem in der älteren Generation basieren auf einer nicht verarbeiteten Traumatisierung durch die Ereignisse des Dritten Reiches und eine weitreichende Tabuisierung des Todes) und führen seitens der Bürgerinnen und Bürger zu inadäquaten Angaben, die kaum einer noch so geringen Infragestellung standhalten.

In meiner Beratungstätigkeit in diesem Bereich muss ich stets neu feststellen, dass hier Entscheidungen ohne ausreichende Aufklärung sehr schnell revidiert werden, sobald eine ausführliche Information diesen Mangel zu beheben sucht und individuelle Fragen erörtert.
Das zeigt deutlich, dass die Fragen nach dem Willen des Patienten extrem suggestionsanfällig und weitläufig unzureichend geklärt sind – dennoch zur Grundlage für juristische Entscheidungen herangezogen werden.

Zusammenfassung
Diese Seminararbeit zum Thema Euthanasie und Sterbehilfe hat mich über die Recherchen in der einschlägigen Literatur hinaus in meiner Auffassung bestärkt, dass die verbesserte Begleitung der schwerstkranken, sterbenden Menschen und deren Angehöriger einen größeren Platz im Gedankengut und den Verbesserungsbemühungen von Politik und Gesellschaft einnehmen sollte – und zwar nicht nur im Rahmen eines Nachdenkens über Strafbarkeit oder Straffreiheit.
Das Leben jedes Menschen ist einmalig und wird auch einzigartig erfahren. Es ist zu kurz gegriffen, lediglich über juristische Lösungen zu diskutieren, die sich hauptsächlich am „Worst case“ orientieren, d.h. die festlegen wollen, welche Maßnahmen unter den schlechtesten Umständen im Sterbeprozess erlaubt oder unerlaubt sein sollen.
Die Frage nach Tod auf Verlangen, auf aktive oder passive Sterbehilfe und eine entsprechende Schuldfrage mit ihren Folgen sollte erst an letzter Stelle stehen. Davor sind die Fragen zu den Möglichkeiten für das Leben und dessen Schutz, Fürsorge, palliative Versorgung und Begleitung zu beantworten.

Ich denke, dass ein neuer Maßstab von übergeordneter Priorität gesetzt werden müsste, der sich zunächst in einem Nachdenken und in konkreten Regelungen niederschlagen sollte, die für eine verbesserte und optimierte Versorgungssituation von Schwerstkranken und Sterbenden beispielsweise im palliativen und hospizlichen Bereich sorgen.
Man muss zuerst Lösungen finden, die ein gutes Sterben – eine echte „Euthanasie“ im Wortsinn ermöglichen, indem das Leben bis zuletzt bejaht, gepflegt und positiv erfahren wird, statt darüber zu diskutieren, wie das Leben am effektivsten, straffrei und sozial oder wirtschaftlich am verträglichsten beendet wird.

Die Definition eines guten Sterbens wird von den Zielen geprägt, die dahinter stehen. Wenn das Ziel lediglich Straffreiheit bzw. eine juristische Sicherheitszone ist, wird es sehr bald nicht mehr um den Menschen und sein Sterben gehen, sondern nur noch um politische Korrektheit und Fragen oder Begründungen, die leicht missbraucht werden und trotz aller Gesetzes-Konformität dennoch menschenfeindlich ausufern können, wie wir aus der leidvollen Geschichte Deutschlands gelernt haben sollten.

Wenn das Ziel jedoch der Mensch in seiner Würde und Einzigartigkeit ist, wird man Wege finden, um dem Leben bis zuletzt alle Ressourcen in Medizin, Pflege und den menschlichen Bedürfnissen zu bieten, was die Frage nach einer Sterbehilfe grundlegend anders gestalten wird, als nur nach dem Aspekt von Tötung auf Verlangen.

Auzüge: Seminararbeit – Schw. Doreén Knopf
Privatuniversität Salzburg – Psycho-Sozial-Spirituelle-Palliative Care

1 http://www.ipicture.de/daten/demographie_deutschland.html / 03.08.2012
2
 http://www.welt.de/newsticker/news3/article108632877/Zollitsch-verurteilt-Sterbehilfe.html 15.08.2012
6 Vgl. Schrader (2012, S.48)

7 Krajcso (2010, S. 25)
8 Krajcso (2010, S. 26)
9 Vgl. Krajcso (2010, S. 22) 
10 Der gute Tod?, Udo Benzenhöfer, Vandenhoeck&Ruprecht, 2009, S.9
11 Krajcso (2010, S.22)
12 Krajcso (2010, S. 20)
13 Krajcso (2010, S. 21)
14 Vgl. Krajcso (2010, S. 23,24)
15 Vgl. Krajcso (2010, S. 24,25)
22 Krajcso, (2010, S.36,37)
35 Schrader, (2012, S. 44)
36 Vgl. Schrader, (2012, S. 46)

Hier die erschreckenden Zahlen einer Umfrage zur gesetzlichen Regelung von aktiver Sterbehilfe:

 

 

Ein Gedanke zu „Euthanasie und Sterbebegleitung

  1. Für viele Menschen nicht verständlich, aber ich finde es gut das es diese Hilfe gibt. Ich bin zwar noch Gesund aber man weiß ja nie, besser ist man informiert als nichts zu wissen. Vielen dank für den Artikel.

    Lg Lisa

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