Sterben, Tod und Religionen

Internationale Sylter Palliativtage 2014

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Es war großartig. Über 700 Teilnehmer haben sich auf Sylt mit unterschiedlichen Themenbereichen der Palliativversorgung beschäftigt.

„Palliativpflege in den verschiedenen Religionen“ war mein Thema, zu dem ich ein Referat beitragen durfte. Selbstverständlich kann man in 20 Minuten nur einen Umriss zeichnen.

Ein detailliertes Eingehen auf die einzelnen Weltanschauungen, ihre Entwicklung, die differenzierten Riten, etc. war natürlich in diesem Rahmen nicht möglich.
Mein Ziel war vielmehr eine Sensibilisierung für die wichtigen Aspekte von Spiritualität und Religion im Palliativbereich – eine Sensibilisierung für die Bedeutung der spirituellen Dimension in der existenziellen Situation angesichts von Leiden, Sterben und Tod.

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Palliative Betreuung sieht sich ja vor allem in der Gewährleistung einer möglichst ganzheitlichen Hilfestellung für schwerstkranke, sterbende Menschen gefordert.
Beispiel die Symptomkontrolle: Auf der physiologischen Ebene hat die Palliativmedizin und auch –pflege bereits ein reiches Repertoire an Möglichkeiten erarbeitet – vor allem im Einsatz pharmakologischer Mittel. Symptomkontrolle ist jedoch sowohl im physiologischen Bereich gefragt, als auch im sozial-psychologisch-sprirituellen Bereich – also in allen 4 Dimensionen von Leid und dessen Bewältigung.

leid400Sozial-psychologische und spirituelle Aspekte bieten da noch ein großes Feld an bisher eher weniger genutzten Ressourcen.
Hier geht es vor allem beispielsweise um Faktoren und Wege in Sinnfindung und Hilfe zu einer ganz persönlichen Annahme und Wertstellung aller Lebensphasen bis hin zu einem friedlichen, versöhnten Tod.
„Palliativpflege in den Religionen“ als Ressource beleuchten und die Tagungsteilnehmer motivieren, sich selbst ein erweitertes Wissen zu den Religionen anzueignen – um diese Erweiterung an Wissen für sich persönlich und zur Bereicherung ihrer Fachkompetenzen zu entdecken – das war mein Anliegen in diesem Referat.

Ich denke, dass dies auch gelungen ist, denn für nächstes Jahr ist zu diesem Thema schon ein Workshop von den Veranstaltern geplant, bei dem ich dann intensiver und ausführlicher auf praxisrelevante Fragen eingehen darf – und ich freue mich schon sehr darauf.

Eine umfassende, ganzheitliche Begleitung schließt die Frage der Sinngebung und der Transzendenz ein.

Für den Einen ist der Tod ein Übergang in ein ewiges Leben, für einen Anderen ist es die Hoffnung auf eine Reinkarnation oder auf den Eingang ins Nirwana.
Der Eine steht im Tod einer Vorstellung vom Ende der gesamten Existenz gegenüber, ein Anderer erwartet ein Wiedersehen mit geliebten Menschen, die er vermisst hat.

Je nachdem wird auch die Gestaltung und das Ertragen oder auch die Unerträglichkeit des Sterbens immer ganz individuelle Begleitung erfordern.

Hier ist eine äußerst hohe Fähigkeit an Empathie, an Sensibilität gefordert und auch die eigene Fähigkeit zu einer gesunden Nähe und Distanz. Man kann in dem Maß auf die verschiedenen Bedürfnisse und spirituellen Erfordernisse des Augenblicks sinnvoll eingehen, als man zumindest die Grundlagen der religiösen Weltbilder kennt.

Es ist hier wie im klassischen Schmerzmanagement:
Die besten pharmazeutischen, psychologischen, physiologischen Therapieansätze helfen gar nichts, wenn man nichts von ihnen weiß und sie darum nicht anbieten kann oder – was noch schlimmer ist – wenn man sie ohne Grundlagenwissen einfach nur „nach Gefühl“ anbieten würde.

Ich weiß als Schmerzmanagerin, wovon ich spreche.
Oft habe ich Patienten begleitet, die nur durch Unwissenheit oder mangelnde Fachkenntnis eine völlig unnötige Schmerzodyssee hinter sich bringen mussten,
weil der 0815-Standard eines Hausarztes einfach nicht für die spezielle Situation ausgereicht hat, die in der palliativen Versorgung möglich sind und angezeigt.

Ebenso unnötig und fatal kann Unwissenheit über spirituelle Eigenheiten sein.
Unwissenheit kann Schmerz, Angst und Probleme verursachen, die wir in der Palliativversorgung nicht nur vermeiden wollen – denn unsere Aufgabe ist es ja,
den Menschen im Rahmen unserer Möglichkeiten zu helfen, das Leben würdevoll und in erfüllter Lebensqualität zu beschließen.

Wenn man nur die eigene Weltanschauung kennt und vielleicht selbst eher eine gewisse Scheu vor den großen Fragen der menschlichen Existenz hat, kann man nur schwer auf Situationen eingehen, die gerade im Sterben und Tod auftreten.

Im schlimmsten Fall kann Unwissenheit sogar zu einer Belastung für den Patienten und dessen Angehörige werden oder zu einer völlig unnötigen, zusätzlichen, schweren Krise führen.
Ein Beispiel dafür wäre: wenn ich es wagen würde – z.B. aus Unwissenheit – einen streng gläubigen, moslemischen Mann nach seinem Tod zu berühren. Das wäre nicht nur gegen das Verbot einer Berührung durch eine Frau – sondern zu allem Überfluss könnte ich es auch noch als katholische Schwester „toppen“. So etwas ist vermeidbar und muss vermieden werden.

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Es gibt beispielsweise Patienten, die größten Wert darauf legen, bei der nötigen Schmerzbehandlung möglichst klar bei Bewusstsein zu bleiben.
Lieber nehmen sie Schmerzen in Kauf, weil sie diesem Schmerz spirituell Sinn abringen können und verzichten dafür ganz bewusst auf Mittel mit sedierenden Nebenwirkungen.

So etwas kann vielleicht für eine medizinische Fachkraft unvorstellbar sein oder sogar unsinnig erscheinen. Hier gilt jedoch Feinfühligkeit, Respekt und Achtung vor dem Willen des Betroffenen.

Der Apostel Paulus fand bei seiner Missionstätigkeit in Griechenland einen Altar, der einem „unbekannten Gott“ geweiht war (Apg 17,23) – eine griechische Form von Weltoffenheit auch im Respekt und der Achtung dem Unbekannten gegenüber.

Bei all den uns bekannten, großen Religionen gibt es aber auch heute eine Art unbekannte „Medizin-Religion“.
Diesen Titel möchte ich den medizinisch / pflegerischen Überzeugungen geben, die manchmal eine Art „Rechtgläubigkeit“ für sich beanspruchen, die sehr bezwingend sein möchte.

Jeder von uns hat seine Spezialfachkompetenzen.
Manchmal sehen wir dann die Welt und auch die Patienten und deren Bedürfnisse durch die Brille unserer Spezialisierungen. (Ein Aromatherapeut wird vielleicht sofort etwas Andres wichtig finden, wie ein Musiktherapeut oder ein Schmerzspezialist. Wer auf alternative Medizin spezialisiert ist, wird weniger an Chemotherapie als pallitaive Hilfe denken und ein Psychologe kommt vielleicht nicht gleich bevorzugt auf die Idee einen Seelsorger für eine schwierige und belastende Schuldfrage des Patienten hinzuzuziehen usw).
So sind wir eben. Hier stoßen auch wir täglich an Grenzen und zugleich haben wir die Chance, über uns hinaus zu wachsen, um dem Patienten möglichst umfassende Hilfe anzubieten.
Spezialisierungen und eigene Überzeugungen sind ungemein wichtig – solange sie nicht einen „religiösen Charakter bekommen“, der zu einer Art „Bekehrungsversuch“ und unter Umständen sogar mit Druck auf einen Menschen wird. Dabei kann es sonst vorkommen, dass man versucht, eine Überzeugung, spezialisiertes Wissen oder besondere Kenntnisse zu einer Art „Dogma“ zu erheben und jemandem „überzustülpen“.

Ich habe das z.B. in einer Schmerzklinik erlebt, in der man zwar mit Ganzheitlichkeit geworben hat, aber letztlich doch primär nur noch psychologische Ansätze als erste Methode der Wahl sah. Alle pharmakologische Schmerzmedikation wurde grundsätzlich erst einmal bei den neuen Patienten als überflüssig reduziert oder sogar radikal und z.T. sehr abrupt abgesetzt.
Die Patienten wurden damit konfrontiert, dass sie nur die „richtige, innere Einstellung“ erlernen müssten, um mit ihren chronischen Schmerzen zu leben und dass sie bisher eigentlich nur nicht die richtige Therapie erhalten hätten. Was das für frustrierende, ja völlig verzweifelte Reaktionen der Patienten gab und welche Auswirkungen das hatte, muss ich hier kaum erzählen. Der Patient, sein bisheriger Leidensweg etc. wurden – in regelrecht religiöser Weise – in Frage gestellt, die alleinige Wahrheit beanspruchte.
Es wurde sogar fast eine Schuldfrage aus der chronischen Schmerzsituation gemacht, die ja angeblich nur aus einer falschen „inneren Einstellung“ resultierte.

Um es kurz zu sagen: Auch medizinische / pflegerische Anschauungen können (bei aller Berechtigung und Sinnhaftigkeit) doch zu einer Art religiösem Antwortmodell werden, das man nicht einfach aufdrängen darf.
Religion versucht immer Antworten auf existenzielle Fragen zu geben – und so wichtig eigene Überzeugungen sind, so sehr bedarf es auch einer Fähigkeit der selbstkritischen Reflektion und eines respektvollen Umgangs mit anderen Ansichten. Das bedeutet nicht, dass man nichts mehr ernst nimmt, sondern dass man Grenzen wahrnimmt und auch wahrt.

Ein eigener, klarer Standpunkt hilft, andere Standpunkte sachlich zu erörtern, ohne selbst „ins Schwimmen“ zu kommen und respektvoll zu bleiben.

Palliativpflege im Kontext von Religion und Spiritualität
• braucht oft Mut, behutsam dem sensiblen Bereich der existenziellen Fragen zu begegnen
• braucht die Fähigkeit zu selbstkritischem und respektvolles Verhalten,
das immer neu den Patienten fokussiert.
• braucht sachliche Information und Bereitschaft zu angemessener Kommunikation
• braucht auch die Fähigkeit zu angemessenem Verhältnis von Nähe, Vertrautheit und Distanz

Kontinuierliche, achtungsvolle und offene Kommunikation ist ein wesentlicher Bestandteil einer wirklich ganzheitlichen Palliativversorgung, die den Titel: „ganzheitlich“ auch verdient und auch den spirituellen Bereich einschließt.

Die Religion öffnet die Türe zur Transzendenz und kann helfen, der Wirklichkeit des endenden Lebens mutig „in die Augen zu sehen“.
Das ist Hilfe zum Leben in allen Phasen.

Das Sterben, der Tod können durch Spiritualität aus der Grauzone des Tabu herausfinden. Die Sinnfindung der Spiritualität kann das Sterben und den Tod – als einen wertvollen Lebensabschnitt eröffnen, der eine eigene, wertvolle Qualität besitzt.

Im einem solchen Licht der Sinnfindungsoptionen erfährt der Mensch auf diese Weise
eine Berechtigung für das Hier und Jetzt
und muss nicht verdrängen,
sondern kann Frieden schließen
und Lebensqualität auch im Sterben finden.

Begleitung (c) m-voss

© Schw. Doreén Knopf

 

Hier noch einige  Fotos und der Film mit Impressionen zu den Sylter Palliativtagen 2014